Fünf Jahre MOSE in Venedig

Seit dem ersten erfolgreichen Einsatz am 3. Oktober 2020 hat das milliardenschwere Flutschutzsystem MOSE (MOdulo Sperimentale Elettromeccanico) Venedig und seine historische Altstadt vor schweren „Acqua alta“ (Hochwasser)-Ereignissen geschützt. Fünf Jahre nach der Teil-Inbetriebnahme bietet das Projekt, das die Lagunenstadt vor dem Untergang bewahren soll, Anlass für eine gemischte Bilanz zwischen technischem Erfolg, immensen Kosten, Korruptionsskandalen und wachsenden Zukunftsängsten angesichts des Klimawandels.


Die Erfolgsgeschichte des Hochwasserschutzes

MOSE besteht aus 78 riesigen, gelben Fluttoren an den drei Laguneneingängen (Lido, Malamocco und Chioggia). Droht ein Pegelstand von über 110 Zentimetern über Normalnull, werden diese Tore mit Druckluft angehoben. Sie bilden eine Barriere, die das Adriawasser draußen hält.

  • Wirksamkeit: Seit 2020 wurden die Sperren Dutzende Male erfolgreich hochgefahren, um die Stadt vor größeren Überflutungen zu schützen. Vor allem der Markusplatz und der Markusdom, die tiefsten Punkte der Stadt, konnten so vor zerstörerischen Salzwasserschäden bewahrt werden, wie sie zuletzt bei dem verheerenden Hochwasser von 187 Zentimetern im November 2019 auftraten.
  • Technische Meisterleistung: Das System, das sich in etwa 30 Minuten aufrichtet, gilt als beeindruckende Ingenieursleistung, die Venedig in der Gegenwart die dringend benötigte Sicherheit bietet.

Schattenseiten: Kosten, Korruption und Fertigstellung

Die Inbetriebnahme des MOSE-Projekts war von jahrelangen Verzögerungen und Skandalen überschattet. Der Bau, der 2003 begann und ursprünglich 2014 fertiggestellt werden sollte, wurde erst 2020 in Betrieb genommen und die vollständige Fertigstellung soll voraussichtlich im Sommer 2025 erfolgen.

  • Explodierende Kosten: Die ursprünglich veranschlagten Kosten von 1,6 Milliarden Euro stiegen auf über 6 bis 7 Milliarden Euro an.
  • Korruptionsskandal: Das Projekt wurde von einem massiven Korruptionsskandal erschüttert, bei dem Schmiergelder in Millionenhöhe geflossen und hochrangige Politiker sowie Bauunternehmer involviert waren.
  • Wartung: Die jährlichen Unterhaltskosten sind mit 100 Millionen Euro sehr hoch. Zudem kostet jede einzelne Aktivierung der Barrieren laut Berichten etwa 200.000 bis 300.000 Euro. Technische Mängel wie Rostbildung an Teilen der Struktur werfen Fragen bezüglich der Langlebigkeit auf.

Kritische Stimmen und Zukunftsängste

Trotz der kurzfristigen Erfolge sehen Kritiker und Umweltexperten das MOSE-System nicht als dauerhafte Lösung:

  • Ökologische Auswirkungen: Jedes Schließen der Barrieren unterbricht den natürlichen Austausch von Süß- und Salzwasser sowie von Sedimenten. Dies verändert das Ökosystem der Lagune (z.B. Fischerei ist davon betroffen) und kann zur Verstopfung von Kanälen führen. Einige Fischer berichten von einem Rückgang ihrer Fangmengen um 80 Prozent.
  • Wirksamkeit im Klimawandel: Das größte Problem ist die Zukunftsfähigkeit der Anlage. Das System wurde in den 1980er Jahren konzipiert und sollte Venedig vor einem Meeresspiegelanstieg von bis zu 60 Zentimetern schützen. Experten befürchten, dass aufgrund des sich beschleunigenden Klimawandels und der kontinuierlichen Absenkung des Bodenniveaus (bis zu 7 Millimeter pro Jahr) die Anlage bereits zwischen 2060 und 2070 überlastet sein könnte. Nach pessimistischsten Szenarien könnte der Meeresspiegel bis 2150 in Kombination mit Extremereignissen auf bis zu 3,47 Meter steigen, was die Kapazitäten von MOSE weit überschreiten würde.
  • Ständige Schließungen: Wenn die Barrieren immer häufiger geschlossen werden müssen, würde die Lagune fast „zugemauert“, was die ökologischen Probleme weiter verschärfen würde. Einige Venezianer bedauern den Verlust des „charakteristischen Hochwassers“ als Teil des Stadtlebens.

MOSE ist ein notwendiges Übel und ein Symbol des technologischen Kampfes gegen den Klimawandel. Es hat Venedig vor dem Schlimmsten bewahrt. Dennoch bleibt die Frage, ob die teure Anlage angesichts des rasant steigenden Meeresspiegels tatsächlich eine langfristige Rettung oder nur eine teure Verzögerung des Unvermeidlichen darstellt.


Ein Video über die Funktionsweise und die damit verbundenen Kontroversen des Hochwasserschutzes in Venedig:

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